Mit 78 Jahren Tandem fahren
Ein Bericht von Maren Schwerger
Die zehnte Euro-Tandem-Tour soll die letzte sein, die er organisiert, versichert Horst Schwerger aus Neuhausen. „Jetzt bin ich 78“, sagt er zur Begründung. Sein Alter sieht man dem sportlichen und umtriebigen Senior nicht an. Mit den Rad- Touren, bei denen immer Sehbehinderte oder Blinde zusammen mit Sehenden auf dem Tandem fahren, will er seit 1998 auf diese nach wie vor unheilbare Augenkrankheit aufmerksam machen, aber auch beweisen, dass Menschen mit Behinderung am sozialen Leben teilnehmen können.
Die Tour startete am 29. August in Tübingen und endet am 7. September in Esslingen. Die 1010 Kilometer lange Strecke ist in zehn Etappen unterteilt und führt durch Frankreich, die Schweiz, Österreich und Süddeutschland. 18 Tandem- Teams haben sich angemeldet sowie sieben Einzelradler. Fünf Begleitfahrzeuge vervollständigen den Tross. Die weiteste Anreise haben Teilnehmer aus Finnland. „Ein wahrer Freund und Helfer“ Zur Vorbereitung hat das Gespann Schwerger/Voggenreither bereits drei einwöchige Trainingslager absolviert: im Allgäu, im Odenwald und an der Mosel. Der 78-Jährige trainiert zudem täglich eine halbe Stunde auf dem Rad und schwimmt morgens und abends 500 Meter. Sein Partner brauche kein spezielles Training, der sei quasi Leistungssportler, fahre mehrere Radmarathons im Jahr. Dass Gerhard Voggenreither für die Trainingslager und die Tour fast seinen kompletten Jahresurlaub verwendet, „ist ihm nicht hoch genug anzurechnen“, sagt Horst Schwerger. „Es ist ja auch mein Hobby“, entgegnet der 59-Jährige. An der Tour reize ihn, dass man mit dem Tandem so weite Strecken zurücklegen könne, „und es auch noch etwas Soziales ist“, dass er anderen helfen könne. Ihn beeindruckt auch, dass die Blinden „so eine positive Lebenseinstellung haben“. Gerhard Voggenreither ist Polizeibeamter. „Ein wahrer Freund und Helfer“, sagt Maren Schwerger.
Sie leidet wie ihr Vater an der Makuladegeneration. Ihre Sehfähigkeit ist eingeschränkt, sie hat aber noch eine gewisse Sehfähigkeit. „Gerd ist so ein Ruhepol, er strahlt die Ruhe aus, die wir brauchen.“ Er kümmere sich nicht nur um ihren Vater, sondern auch um die anderen Teilnehmer. Maren Schwerger ist vor zwei Jahren zum ersten Mal im Begleitfahrzeug mitgefahren. Dieses Mal wird sie erneut das Tour-Tagebuch schreiben.
Ihr gefällt das harmonische Miteinander bei der Tandem-Tour
Gemeinsam
Mit seinen Touren wirbt Horst Schwerger für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung. „Gemeinsam eigenständig sein“ lautet das Motto der Euro-Tandem-Tour.
Wenn er in den Etappenorten in die Rathäuser eingeladen wird, versucht Horst Schwerger den Bürgermeistern zu vermitteln, dass auch die öffentlichen Hand profitiert, wenn Behinderte die Chance erhalten, einen Beruf auszuüben. „Ihr spart euch dann die Sozialabgaben“, sage er den Rathauschefs. Erfreut hat Maren Schwerger vermerkt, wie positiv die Behörden auch in anderen Ländern reagiert haben, wenn sie wegen der Tandem- Tour kontaktiert wurden – trotz des damit verbunden Aufwandes. Weil der Tour-Tross um die 150 Meter lang ist, benötigt er immer eine Begleitung durch die Polizei. Es sei wichtig, dass die Teilnehmer immer geschlossen über Kreuzungen kommen, hebt Horst Schwerger hervor. Bisher habe das immer hervorragend geklappt. Gerhard Voggenreither ist nach wie vor fasziniert, wie die französischen Kollegen den Tross im dichtesten Feierabendverkehr geschlossen durch Straßburg geschleust haben.
„Die Betreuer haben die Sensibilität dafür entwickelt, was es heißt, blind zu sein.“ Im Alltag erlebt sie häufig, dass Menschen Berührungs.ngste haben, wenn jemand eine Behinderung hat. Viele hätten Hemmungen, auf Menschen mit Behinderung zuzugehen. Doch für die sei es wichtig, raus zu gehen und am Leben teilzunehmen. Generell hält sie es für notwendig, dass die Leute sehen, „was Behinderung bedeutet, dass die Einschränkungen gar nicht so groß sind. Deshalb sind die Inklusionsprojekte so wichtig und schon Kinder zusammen kommen.“
An Netzhauterkrankungen leiden weltweit zwischen 25 und 30 Millionen Menschen. Noch gibt es keine Therapien und Heilungschancen für diese Augenkrankheiten, wohl aber unterstützungswerte Forschungsansätze und begründete Hoffnungen auf Heilungsverfahren. Bei den Tandem- Touren fährt immer ein Informationsbus mit, der in den Etappenorten über die Erkrankung, den Stand der Forschung sowie die Selbsthilfeorganisation Pro Retina informiert. Ein weiteres Anliegen von Horst Schwerger ist, für die europäische Idee zu werben.